10.10.2025

Zum Kommentar von Lothar Leuschen in der Westdeutschen Zeitung vom 10.10.2025:
Herbst der Reformen
Der Anfang ist gemacht.
Lothar Leuschen schreibt für die Westdeutsche Zeitung am 10.10.2025 einen Kommentar zum Herbst der Reformen und überschreibt ihn mit: "Der Anfang ist gemacht.". Der Kommentar darf nicht unwidersprochen bleiben.
Lothar Leuschen begrüßt in seinem Kommentar den von Bundeskanzler Friedrich Merz ausgerufenen „Herbst der Reformen“ und lobt die Koalition aus Union und SPD für ihre neuen sozialpolitischen Weichenstellungen. Besonders positiv bewertet er die Ablösung des Bürgergelds durch eine „Grundsicherung“ und sieht darin einen „großen Schritt“ der SPD hin zu mehr Gerechtigkeit und Eigenverantwortung. Diese Sichtweise ist jedoch einseitig und blendet zentrale Probleme der Reformpolitik aus.
Zunächst übernimmt Leuschen unkritisch das Narrativ, wonach das Bürgergeld massenhaft zum Missbrauch sozialer Leistungen geführt habe. Empirische Belege für diese Behauptung fehlen jedoch weitgehend. Indem der Kommentar diese populistische Erzählung aufgreift, legitimiert er eine Politik, die auf Einzelfälle reagiert und zugleich das Vertrauen in den Sozialstaat schwächt. Die Reduktion komplexer sozialer Fragen auf das Bild der „sozialen Hängematte“ reproduziert Klischees, die eher stigmatisieren als differenzieren.
Zweitens wird die sogenannte „Grundsicherung“ als Beweis neuer Reformdynamik gefeiert, ohne zu hinterfragen, ob sie tatsächlich Armut mindert oder nur das alte Hartz-IV-System unter neuem Namen fortsetzt. Wenn die Reform vor allem auf strengere Kontrollen und Anreize zum Arbeiten setzt, ohne die strukturellen Ursachen von Langzeitarbeitslosigkeit – wie Niedriglöhne, prekäre Beschäftigung oder regionale Ungleichheit – anzugehen, handelt es sich weniger um einen „Herbst der Reformen“ als um eine Rückkehr zu alten Denkmustern.
Auch die Bewertung der geplanten „Aktivrente“ bleibt oberflächlich. Leuschen erkennt zwar an, dass die Maßnahme das Rentenproblem nicht löst, deutet die Notwendigkeit einer längeren Lebensarbeitszeit aber fast schon als mutigen Realismus. Dass eine solche Verlängerung für Menschen in körperlich belastenden Berufen oder mit unterbrochenen Erwerbsbiografien faktisch eine Rentenkürzung bedeutet, bleibt unerwähnt. Reformen dürfen nicht allein aus der Perspektive fiskalischer Vernunft betrachtet werden, sondern müssen soziale Gerechtigkeit sichern.
Schließlich zeugt der Appell, Politik „nicht nur aus Sicht der Eltern- und Großelternperspektive“ zu betreiben, zwar von Generationenbewusstsein – doch gerade junge Menschen benötigen mehr als symbolische Politik: Sie brauchen stabile Arbeitsbedingungen, faire Löhne und ein soziales Netz, das nicht primär auf Misstrauen basiert.
Insgesamt bleibt Leuschens Kommentar dem Regierungsnarrativ zu sehr verhaftet. Statt den „Herbst der Reformen“ kritisch zu hinterfragen, bekräftigt er ihn rhetorisch. Eine wirklich kritische Analyse müsste prüfen, ob diese Reformen tatsächlich soziale Balance schaffen oder lediglich alte Ungerechtigkeiten neu verpacken.

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