16.07.2025

Bamberger Dom

 

Predigtskandal oder legitime Mahnung?

Am Sonntag bezeichnete Erzbischof Herwig Gössl (Bamberg) die Nominierung von Frauke Brosius‑Gersdorf als Verfassungsrichterin als „innenpolitischen Skandal“ und warnte vor einem „Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung“, falls Menschenwürde und Lebensrecht ungeborener Kinder relativiert würden (siehe TAG24.de; 13.07.2025).

Solche moralisch aufgeladene Sprache – „Abgrund“, „Skandal“ – trägt deutlich zur Emotionalisierung bei. Kritiker sehen hierin keine sachliche Auseinandersetzung, sondern eine Stimmungsmache gegen eine politisch umstrittene Persönlichkeit, die per se ihre Reputation infrage stelle. Die Frage ist daher: Dient das christliche Ethos dem Diskurs – oder instrumentalisiert es ihn?

Lebensschutz: Unverhandelbar oder gesellschaftliche Debatte?

Gössl betonte noch in einem Folgeinterview: „Es gibt keine Abstufung des Lebensrechts“, selbst während der Schwangerschaft gelte uneingeschränkt der volle Lebensschutz (siehe Welt.de; 15.07.2025).

Dem entgegnet Brosius‑Gersdorf klipp und klar: Sie halte das Grundrecht auf Leben ab Nidation für unbestritten, habe aber differenziert, ab wann Menschenwürde in voller Breiten gelte – eine rationale, verfassungsrechtliche Position, nicht ein „Angriff auf ungeborenes Leben“ (siehe Frankfurter Rundschau.de; 16.07.2025).

Fakt ist: In einem freiheitlich-pluralistischen Rechtsstaat gehört es zur juristischen Debatte, unterschiedliche Schutzgrade und Finanzierungskonflikte zwischen Persönlichkeitsrechten abzuwägen. Gössls Absolutanspruch verweist hingegen auf eine theologische Sichtweise – legitim, aber möglicherweise unvereinbar mit pluralistischen Grundüberzeugungen.

Kirche und Politik: Grenzüberschreitungen oder notwendiges Statement?

SPD-Fraktionschef Matthias Miersch kritisierte die kirchlichen Äußerungen als „ungenießbar“ und „unchristlich“, er warf der Kirche politische Einflussnahme vor (welt.de; 15.07.2025). Auch die SPD Bamberg monierte, dass Gössl das Ansehen des Verfassungsgerichts beschädige (siehe wiesenbote.de; 13.07.2025).

Miersch: „Kirche kann politisch sein. Sich aber an dieser Hetze zu beteiligen, ist unchristlich.“ (deutschlandfunkt.de; 14.07.2025)

Gössl antwortete darauf, es gehe ihm nicht um eine einzelne Person, sondern um ethische Grundentscheidungen, die das Grundgesetz betreffen. Gleichzeitig sagte er, er würde einen freiwilligen Rückzug von Brosius‑Gersdorf „am liebsten“ sehen (evangelische-zeitung.de; 15.07.2025). Damit überschreitet er eine feine Linie – vom religiösen Mahner zum politischen Akteur.

Die Perspektive der Betroffenen: Prof. Brosius‑Gersdorf

Brosius‑Gersdorf bezeichnete die Gössl-Aussagen als „infam“ und erinnerte daran, dass auch die Kirche an Grundrechte wie Menschenwürde gebunden ist . Sie spricht offen von Diffamierung, Drohungen (E-Mails, Postsendungen) und einer „Schmutzkampagne“, die ihre wissenschaftlich fundierten Positionen verzerrt dargestellt habe.

Mehr als 300 Rechtswissenschaftler verteidigten sie per offenem Brief – ein starkes Signal für ihren Rückhalt in der Fachwelt.

Schlussbilanz: Elemente einer unheiligen Allianz?

  1. Kirche im Zwiespalt: Die katholische Kirche beansprucht moralische Richtschnur zu sein – doch in einem pluralistischen Rechtsstaat muss sie ihre Stimme sorgfältig dosieren.
  2. Sprache und Wirkung: Formulierungen wie „Abgrund der Menschenverachtung“ wirken polarisierend und emotionalisiert – eher geeignet, Alarm zu schlagen als ernsthaft zu argumentieren.
  3. Demokratische Debatte: Juristische Fragen, etwa zum Lebensschutz, gehören ins Parlament und zu Gerichten – nicht in Predigten.
  4. Personenschutz: Vorwürfe gegen Brosius‑Gersdorf entwerten ihre akademische Integrität – Grundrechte gelten auch für kontroverse Akteurinnen.

Fazit

Gössl hat das Recht und vielleicht auch die Pflicht, seine moralischen Positionen darzulegen. Doch im aktuellen Fall verschob sich das Gewicht von sachlicher Argumentation hin zu persönlicher und moralischer Diffamierung. Eine konstruktive Debatte müsste die Spannungen zwischen Lebensschutz und Selbstbestimmung auf Augenhöhe führen – nicht mit rhetorischem Großgeschütz.

Es sind Männer wie Gössl, die mich immer wieder daran Zweifeln lassen, ob es vernünftig ist, in der katholischen Kirche zu bleiben.

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